Donnerstag, 29. März 2012

Tizenkilenc


Pál Schmitt ist Ungarns Staatspräsident und zweifacher Olympiameister im Fechten. Nach seiner Sportlerkarriere in den 60er und 70er Jahren wurde er 1983 Mitglied und blieb bis 1989 Generalsekretär des Ungarischen Olympischen Kommitees; von 1990 bis 2010 war er dessen Präsident und wurde anschließend zum Ehrenpräsidenten (örökös tiszteletbeli elnöke) des Kommitees ernannt. Zudem ist Schmitt seit 1983 Mitglied des Internationalen Olympischen Kommitees, zwischen 1995 und 1999 war er dessen stellvertretender Vorsitzender.

Seit 1992 trägt Pál Schmitt offiziell auch den Doktortitel. In seiner Doktorarbeit analysierte er das Programm der modernen Olympischen Spiele; er schloss sie mit
summa cum laude ab. Nach Abgabe seiner Dissertation begann Schmitts politische Laufbahn: 1993 wurde er als ungarischer Botschafter nach Madrid berufen, 1998 nach Bern. 2003, nach seiner Zeit in der Schweiz, schloss er sich der Fidesz an und wurde prompt zu deren Vizepräsidenten gewählt. Nach einem Zwischenstopp im Europäischen Parlament von 2004 bis 2010 ging alles ganz schnell: Am 14. Mai 2010 wurde Schmitt zum ungarischen Parlamentsvorsitzenden gewählt, am 29. Juni 2010 dann zum Staatspräsidenten. Eine Überraschung war dies nicht. Als Mitglied der Fidesz hatte Schmitt durch deren Zweidrittelmehrheit seine Stimmen im Parlament sicher. János Dobszay vom wöchentlich erscheinenden liberal ausgerichteten Magazin HVG beschrieb diese Neuigkeit damals so: "Die Fidesz hat ihr Staatsoberhaupt nach den Regeln des Feng Shui gewählt: Ab jetzt kann die Energie frei fließen! Pál Schmitt wird den Aufschwung der Regierung nicht bremsen."

Ganz schön viele Titel hat er sich da über die Jahre eingeheimst, der Schmitt. Einen weiteren erhält er auf diesem Blog: Hier ist von ihm als Unterschriftenmaschine (
aláírógép) die Rede, und diese Bezeichnung kommt nicht von ungefähr, war es doch Schmitt, der seit seiner Amtseinführung munter Gesetzesentwurf nach Gesetzesentwurf unterschrieb, zur Freude seines Chefs Viktor Orbán, der ohnehin ein bisschen Monopoly spielen wollte. Im ersten halben Jahr seiner Amtszeit als Staatspräsident waren es an die 100 Unterschriften, die Pál Schmitt unter Gesetztesentwürfe setzte. Die Meinung des Verfassungsgerichtes befragte er dabei kein einziges Mal. Wozu auch. Dieses wurde ebenfalls durch ein wenig Formatieren hier, ein bisschen Dämmen da quasi-entmachtet und zur Sicherheit mit Fidesz-Gefügigen besetzt. Wenn man nur jedes Spiel so einfach gewinnen könnte...


Nun, die Jahre sind ins Land gezogen, das Parlament wurde inzwischen in ein frisches Orange umgestrichen und leider-leider gibt es trotz Mediengesetz und fleißiger Medienbehörde solch freche, aufmüpfige Journalisten, die tatsächlich ihren Beruf ausüben. Ergebnis: Ungarn hat nun seine eigene Guttenberg-Plagiatsaffäre. Nur dass das Guttenbergen hier
Schmittelni heißt. Wie die bereits oben erwähnte HVG im Januar dieses Jahres aufdeckte, hat Pál Schmitt 180 seiner 215 Seiten starken Doktorarbeit abgeschrieben, undzwar zum größten Teil vom bulgarischen Sportwissenschaftler Nikolaj Georgiev. Dieser hatte seine Arbeit 1987 (in französischer Sprache zwar, aber) zufällig genau über Schmitts Thema geschrieben. Hier einige Auszüge aus beiden Arbeiten und deren Gegenüberstellung, wie auf www.hvg.hu veröffentlicht. Bis auf ein paar kleine Unterschiede ist bereits die Gliederung komplett von Georgiev übernommen. Und nicht nur von ihm, auch vom Hamburger Sportsoziologen Klaus Heinemann bediente sich Pál Schmitt in seiner Doktorarbeit - insgesamt 17 Seiten kopierte er von ihm. Schade, dass Schmitt nicht auch von Zu Guttenberg abgeschrieben hat, denn dann hätten wir jetzt eine Doppel- und Dreifachplagiatsaffäre und jede Menge Stoff für satirische Sketche und Karikaturen.

Viktor Orbán (links) und Pál Schmitt (rechts)
beim Kreuzworträtsel lösen. Wahrscheinlich.

Bildquelle: http://www.mti.hu
Tja, und was macht man, wenn man des Plagiats bezichtigt wird? Natürlich erst einmal leugnen, Regierungssprecher vorschieben, erneut leugnen, anschließend ein bisschen schweigen und vor allen Dingen Daumen drücken, dass die betreffende Uni ganz doll lieb zu einem ist. Da die Budapester Sporthochschule, bei der Schmitt seine Doktorarbeit schrieb, mittlerweile zur Semmelweis Universität gehört, war es an ihr, den Fall zu untersuchen und gegebenenfalls eine Entscheidung darüber zu treffen, ob Schmitt sein Titel aberkannt werden soll. Hierzu gründete die Uni einen Ausschuss, der Schmitts Abkupfereien vor zwei Tagen jedoch noch in Schutz nahm. Schmitt habe zwar schon hier und da ein bisschen abgeschrieben. Aber nicht er sei der Schuldige - vielmehr hätten die Fehler damals den Korrektoren auffallen sollen. Und sowieso, das ist doch jetzt so lange her. Ähnlich uncouragiert reagierte die Fidesz. Gabriella Selmeczi, solariumgebräunte Parlaments-Abgeordnete, die 2002 wegen Hörnchen-Diebstahls im Budaörser Tesco in die Schlagzeilen geriet (sic!), äußerte gegenüber der Presse, dass die Partei die Ergebnisse der Plagiats-Untersuchung zur Kenntnis genommen habe, den Fall damit aber als abgeschlossen betrachte.

Ganz so einfach ist es aber dann doch nicht. Nach vermehrter Kritik von Presse (sogar die regierungsnahe Tageszeitung
Magyar Nemzet (Ungarisches Volk) forderte kürzlich Pál Schmitts Rücktritt) und Öffentlichkeit (verschiedene studentische Netzwerke veranstalteten aufgrund der allseitigen Rückendeckung Demonstrationen) ließ die Semmelweis Universität heute verlauten, dass sie Schmitt seinen Doktortitel entziehen möchte. Womöglich hatte sie zunächst aus Angst vor Konsequenzen von Seiten der Fidesz klein beigegeben. Immerhin wurden 2011 mehrfach Dozenten von verschiedenen Hochschulen entlassen, die für ihre regierungskritische Einstellung bekannt waren. Nun wartet die ungarische Öffentlichkeit jedenfalls auf zwei Konsequenzen: Zum einen soll Schmitt sein Doktortitel aberkannt werden, zum anderen soll er von seinem Amt als Staatspräsident zurücktreten. In einem Fernsehinterview hatte Schmitt jedoch klar und deutlich geäußert, dass er die Konsequenzen, die auf ihn zukämen, zwar akzeptiere, jedoch nicht daran denke, zurückzutreten. Weiterhin freute er sich im Interview, dass die Demokratie in Ungarn funktioniere und es in Ungarn keine Doppelmoral gäbe. Schön, dass Schmitt die Witze über ihn gleich höchstselbst liefert... Merkel-gleich hatte auch Ministerpräsident Viktor Orbán Schmitt bisher in Schutz genommen. Kein Wunder, wäre es doch auch für ihn und seine Kompetenz als Ministerpräsident ein peinliches Zugeständnis, seinen Schützling zu feuern.

Man darf also gespannt sein, wie sich die Plagiatsaffäre in den kommenden Tagen und Wochen noch entwickeln wird. Vermutlich wird Schmitt sich von seinem Doktortitel verabschieden müssen, das Amt des Staatspräsidenten aber weiter ungehindert (aber natürlich von oben dirigiert) ausüben. Jedenfalls so lange die ungarische Öffentlichkeit nicht auf die Straße geht und mithilfe der Medien gewaltig Druck ausübt. Hoffen wir's. Denn die Zu Guttenbergs, Wulffs und Schmitts dieser Welt sollten nicht rückengedeckt und ungestraft davonkommen.

UPDATE:
Gestern, am 29.03. kurz vor 19 Uhr, wurde Pál Schmitt sein Doktortitel von der Semmelweis Universität aberkannt.
Aber was für einen Doktortitel hatte Pál Schmitt eigentlich inne? Hierzu muss man zwei Dinge wissen: 1. In Ungarn gibt es (und gab v.a. zwischen den 50er und 90er Jahren) mehrere, keineswegs gleichrangige Doktortitel. 2. Hier schreiben die wenigsten Wissenschaftler, Dozenten und Forscher das "Dr." vor ihren Namen; von vielen Doktoren weiß man deshalb nicht, ob und wenn ja was für einen Doktortitel sie besitzen. Das, was bei uns in Deutschland klassischerweise der Ph.D. oder der Dr.med. ist, kann hier in Ungarn noch viel mehr sein - und oft nur einen Titel statt einen akademischen Grad darstellen. Das, was Staatspräsident Pál Schmitt noch bis gestern Abend innehatte, war das Universitätsdoktorat mit dem (nur zwischen 1984 und 1993 verliehenen) Zusatz "doctor universitatis"
. Dieses wurde nach dem Universitätsdiplom und nach einer wissenschaftlichen Forschungsarbeit verliehen. Umgangssprachlich wurde und wird dieser als kleiner Doktortitel (kisdoktori cím) bezeichnet. An ihn können sich weitere, höhere akademische Grade anschließen.
Wer weiß, vielleicht zeigt's ja Schmitt uns allen und drückt nochmal ein paar Jahre die Schulbank, um mit einem "richtigen" Ph.D. zurückzukehren.

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