Freitag, 26. Juli 2013

Huszonegy

Dinge, die schön sind: warme Sommerabende, das Abziehen von Handy-Schutzfolien, weiches Katzenfell an warmer Menschenwange, gelungene selbstgebackene Kuchen, Brieffreundschaften, Mixtapes von Freunden, Lob erhalten.

Dinge, die unschön sind: ungepflegte Blogs.

Bis April war bei mir Diplomzeit inklusive Abgabe meiner Diplomarbeit, Prüfungszeit und schließlich Umzug (beziehungsweise Rückzug ins heimische Süddeutschland). Seitdem ist Bewerbungszeit, Zeit, den Umzug (beziehungsweise Weiterzug beziehungsweise Rückzug) nach Budapest im September zu planen und somit auch Zeit aufzuwachen aus meinem post-diplomischen Delirium. Blicken wir jedoch nochmals kurz zurück: Im März machte ich mit meinem Freund etwas völlig Unpassendes, Fehl-am-Platzendes, wahnsinnig schlecht Getimtes: einen zweiwöchigen Myanmar-Trip. Die Wahrheit ist, Myanmar wäre zu einer Zeit fällig gewesen, in der ich mich bereits eine glückliche, freie Absolventin nennen kann. Doch wie jeder weiß, verschiebt sich alles immer um zwei Monate. Und so wurde aus dem Belohnungsurlaub danach ein eingeschobener Ausflug davor. Stolz kann ich jedoch behaupten, in diesen zwei Wochen Großartigkeit nicht einmal an mein Diplom gedacht zu haben. Gut, nicht?

Gut fand ich auch, als mich die Facebook-Seite des Goethe Institut Budapest kürzlich mit seinem Eintrag über deutsche Lehnwörter im Ungarischen an etwas erinnerte: An meine Liste nämlich. Meine Liste der eingeungarischten Wörter [einungarischen heißt in selbiger Sprache übrigens „magyarosítani“ und existiert – im Gegensatz zum deutschen Pandon offiziell und ohne in Word rot unterkringelt zu werden]. Während meiner Auslandsemester in Budapest habe ich mit viel Vergnügen beobachtet, wie die ungarische Sprache nicht nur einige linguistische Verwandtschaften geschlossen und diverse Lehnwörter innehat. Nein, so mancher Begriff aus dem Englischen, Französischen und Deutschen findet sich in einer Form im Ungarischen wieder, die den Ursprung gar nicht mehr erkennen lässt. Es geht ganz fix: Die Schreibweise des entsprechendes Wortes wird einfach ungarisiert, Bedeutung und Aussprache bleiben hingegen gleich – bis auf das rollende Rrrr, das auch bei englischen Stammwörtern seinem weicheren, in sich gekehrten Partner [siehe „right“, „british“ etc.] nicht weicht. Aufgrund der einfachen Methodik, die ja auch beim Sprechen selbst schon angewendet werden kann und keiner großen Übung bedarf, findet sich dieses Phänomen überall in Ungarn, und es verbreitet sich rasant in der ungarischen Sprache. Insbesondere Themenkreise, die ohnehin einem schnellen Wandel unterliegen [beispielsweise Mode und Technik], beinhalten immer mehr neue, moderne eingeungarischte Wörter. Der folgende Auszug aus meiner Liste zeigt einen ersten, amüsanten Überblick. Weitere Auszüge folgen in regelmäßigen Abständen in dieser Serie namens_

_SALÁTA


Kvíz = Quiz (engl.)
Repertoár = Repertoir (franz./lat.)
Fals = falsch (dt.)
Ketcsup = ketchup (engl.)
Dzsessz = Jazz (engl.)
Menedzser = Manager (engl.)
Koktél = Cocktail (engl.)
Bizsu = Schmuck (franz.)
Zseni = Genie (franz.)
Rulett = Roulette (franz.)
Brék Bít = Break Beat (engl.)
Dizájn = Design (engl.)
Silvuplé = s’il vous plait (franz.)
Blézer = Blazer (engl.)
Besztof = Best of (engl.)
Zsáner = Genre (franz.)

Donnerstag, 8. November 2012

Húsz


Ein Fass zu öffnen. Oder: Rundum zu schlagen

Am 30. Juni dieses Jahres sah man in Budapest eine bunte Menschentraube aus Frauen und Männern vom Deák tér über den Andrássy út und den Liszt Ferenc tér bis hin zum Klauzál tér marschieren. Manche von ihnen trugen Perücken, andere waren nur leicht bekleidet, viele von ihnen hatten Plakate gemalt und streckten diese in die Luft. Alle schrien sie „Nein heißt nein!“, A nem az nem!. Es war Budapests zweiter SlutWalk, Ribiséta auf Ungarisch. Die erste Demonstration unter diesem Namen fand im April 2011 im kanadischen Toronto statt, nachdem ein Polizist bei einer Veranstaltung in einer Torontoer Universität zum Thema „präventive Verbrechensbekämpfung“ den Studentinnen dazu riet, sich nicht provokativ wie eine Slut (Schlampe) zu kleiden, um nicht zu Opfern sexueller Gewalt zu werden. Mensch, wieso hat man uns Frauen nicht schon früher gesagt, dass wir aufgrund unserer dürftig vorhandenen Kleidung sexuell motivierten Straftaten zum Opfer fallen! Im Umkehrschluss also: einfach ein bisschen mehr anziehen, die Damen, dann hat man auch diese lästigen sexuellen Übergriffe los.
Die Männer, zumindest alle potenziellen Täter unter ihnen, sind in diesem trivial-tumben Szenario aber genauso Opfer: Opfer ihrer animalischen sexuellen Triebe, die sie beim Anblick von kurzen Röcken, Ausschnitten und nackter Haut nicht mehr zurückhalten können.

Diese Ansicht und die Aussage des Polizisten veranlassten einige der kanadischen Studentinnen schließlich, im Frühjahr 2011 den ersten SlutWalk zu veranstalten, um gegen sexuelle Gewalt gegenüber Frauen, für die Würde von Frauen und deren Freiheit, das anzuziehen, was ihnen gefällt, auf die Straße zu gehen. Innerhalb kurzer Zeit fand der SlutWalk Nachahmer auf der ganzen Welt: in den USA, Südamerika, Australien, Europa und so fort. Auch in Deutschland fanden in mehreren Großstädten Demonstrationen statt. Und 2012 auch wieder in Budapest. So viele Teilnehmer wie in Toronto, London oder Berlin zählte der Budapester SlutWalk zwar nicht: Circa einhundert Teilnehmer zählte Organisatorin Nóra Kiss. Als Erfolg kann man es sicherlich dennoch bezeichnen, wenn sich für ein derartiges Ereignis ohne lange Tradition (im Gegensatz z.B. zur Budapest Pride, die seit 1997 jährlich stattfindet) und das vielen Interessierten ggf. mehr Überwindung kostet, da sie als „Eine/r der Ersten“ mitlaufen, so viele mutige Anhänger finden.
Ich selbst war zu dieser Zeit nicht im Lande – hätte aber auch nicht an der Demonstration teilgenommen, da ich mich mit dem Titel „SlutWalk“ nicht identifizieren kann. Auch wenn die Bezeichnung eine sarkastische Anspielung auf die Aussage des kanadischen Polizisten darstellen soll: letztendlich degradiert sie die Demonstrantinnen zu etwas, als das sie ja gerade nicht bezeichnet werden wollen: zu Schlampen. Es ist ein psychologisches Prinzip, dass sich der Mensch nicht selbst als dumm, faul oder hässlich bezeichnen sollte, um am Ende weder sich noch andere tatsächlich davon zu überzeugen. Auch wenn mein Humor diesem Prinzip oft zuwiderläuft, so ist doch etwas dran: Wir Frauen sollten aufmerksamer gegenüber degradierenden, geschlechterspezifischen Beleidigungen werden und beginnen, diese öfter abzuwehren (auch auf die Gefahr hin, fortan als Spaßverderber, Verzeihung, Verderberin zu gelten).
Auch für Außenstehende, beispielsweise Passanten, die nicht mit dem Hintergrund des SlutWalk vertraut sind, dürfte der Titel der Demonstration eher andere Assoziationen wecken. Beim an den SlutWalk Budapest anschließenden Rundtisch-Gespräch sagte eine der Anwesenden selbst, dass sie den Eindruck hatte, viele Passanten hätten die Demonstrantinnen für Prostituierte gehalten, die für ihre Rechte kämpften. Und auch auf der Facebook-Seite des SlutWalk Budapest diskutierten im Vorfeld der Demonstration mehrere Frauen und Männer darüber, ob der Titel überhaupt sinnvoll sei. Auch wenn sich die Veranstaltung durch eine Namensänderung von der großen Schwester aus Kanada abkapseln würde – vielleicht würde Budapest (und ganz Ungarn) eine stärkere eigene, moderne Frauenbewegung, die durchaus aus einer derartigen Serie von Demonstrationen hervorgehen könnte, gut bekommen. Inklusive vieler weiblicher und männlicher Anhänger, versteht sich.



Skulptur "Néprajzkutatás" (ethnografische Forschung) von Ottó Szabó. Hier die zugehörige Beschreibung (ungarisch, deutsch, englisch). Gesehen in der Ausstellung "Friss 2012" im Kogart Haus.

Donnerstag, 29. März 2012

Tizenkilenc


Pál Schmitt ist Ungarns Staatspräsident und zweifacher Olympiameister im Fechten. Nach seiner Sportlerkarriere in den 60er und 70er Jahren wurde er 1983 Mitglied und blieb bis 1989 Generalsekretär des Ungarischen Olympischen Kommitees; von 1990 bis 2010 war er dessen Präsident und wurde anschließend zum Ehrenpräsidenten (örökös tiszteletbeli elnöke) des Kommitees ernannt. Zudem ist Schmitt seit 1983 Mitglied des Internationalen Olympischen Kommitees, zwischen 1995 und 1999 war er dessen stellvertretender Vorsitzender.

Seit 1992 trägt Pál Schmitt offiziell auch den Doktortitel. In seiner Doktorarbeit analysierte er das Programm der modernen Olympischen Spiele; er schloss sie mit
summa cum laude ab. Nach Abgabe seiner Dissertation begann Schmitts politische Laufbahn: 1993 wurde er als ungarischer Botschafter nach Madrid berufen, 1998 nach Bern. 2003, nach seiner Zeit in der Schweiz, schloss er sich der Fidesz an und wurde prompt zu deren Vizepräsidenten gewählt. Nach einem Zwischenstopp im Europäischen Parlament von 2004 bis 2010 ging alles ganz schnell: Am 14. Mai 2010 wurde Schmitt zum ungarischen Parlamentsvorsitzenden gewählt, am 29. Juni 2010 dann zum Staatspräsidenten. Eine Überraschung war dies nicht. Als Mitglied der Fidesz hatte Schmitt durch deren Zweidrittelmehrheit seine Stimmen im Parlament sicher. János Dobszay vom wöchentlich erscheinenden liberal ausgerichteten Magazin HVG beschrieb diese Neuigkeit damals so: "Die Fidesz hat ihr Staatsoberhaupt nach den Regeln des Feng Shui gewählt: Ab jetzt kann die Energie frei fließen! Pál Schmitt wird den Aufschwung der Regierung nicht bremsen."

Ganz schön viele Titel hat er sich da über die Jahre eingeheimst, der Schmitt. Einen weiteren erhält er auf diesem Blog: Hier ist von ihm als Unterschriftenmaschine (
aláírógép) die Rede, und diese Bezeichnung kommt nicht von ungefähr, war es doch Schmitt, der seit seiner Amtseinführung munter Gesetzesentwurf nach Gesetzesentwurf unterschrieb, zur Freude seines Chefs Viktor Orbán, der ohnehin ein bisschen Monopoly spielen wollte. Im ersten halben Jahr seiner Amtszeit als Staatspräsident waren es an die 100 Unterschriften, die Pál Schmitt unter Gesetztesentwürfe setzte. Die Meinung des Verfassungsgerichtes befragte er dabei kein einziges Mal. Wozu auch. Dieses wurde ebenfalls durch ein wenig Formatieren hier, ein bisschen Dämmen da quasi-entmachtet und zur Sicherheit mit Fidesz-Gefügigen besetzt. Wenn man nur jedes Spiel so einfach gewinnen könnte...

Montag, 21. November 2011

Tizennyolc

"Nem tetszik a rendszer", "Das System gefällt mir nicht", das sangen Studenten und Rentner, Familienväter und Supermarktverkäuferinnen gemeinsam bei der Riesendemonstration in Budapests Innenstadt am 23. Oktober, dem Nationalfeiertag Ungarns. Die politische Stimmung im Land scheint aufgewühlter und dynamischer denn je. Und die oppositionellen Kräfte vereinen sich mehr und mehr, bilden neue Facebook-Gruppen, Organisationen und sogar Parteien. Die Hoffnung vieler unzufriedener Ungarn heute: Die Abwahl der regierungsbildende FIDESZ bei den kommenden Wahlen im Frühjahr 2014 - jedenfalls, solange die aktuelle Führungsriege keinen neuen Coup landen, beispielsweise bei vorgezogenen Neuwahlen im nächsten Jahr (http://www.pesterlloyd.net/2011_15/15neuwahlen/15neuwahlen.html). Und ob Neuwahlen oder nicht, bis zum Ende des Jahres bleibt schließlich noch genug Zeit, die parteieigene Macht weiter zu zementieren, bei dem Tempo, mit dem Regierungsbeschlüsse im Puppentheater des Budapester Parlaments verabschiedet werden. Natürlich geschieht dies alles zum Wohle des ungarischen Volkes: um die Wirtschaft anzukurbeln und die Haushaltsverschuldung zu senken, um Kultur im klassischen Gewand zu zeigen und moderne Interpretationen durch traditionell-konservative und patriarchalische zu ersetzen (alles andere verwirrt doch nur), um die Straßen von den unschönen Obdachlosen zu säubern und die Roma schön weiter an den Rand der Gesellschaft zu verbannen, um unwahrer Berichterstattung vorzubeugen und ein einheitliches politisches Bild zu zeichnen. Warum sonst. Und hey, keiner kann Ministerpräsident Viktor Orbán eine Unlust zum Dialog vorwerfen, nun da Verhandlungen mit IWF und EU angedacht sind. Da kann man dem Downgrading schon mal "Viszontlátásra" (Auf Wiedersehen) sagen. Die Rettung naht, nicht wahr? Tatsächlich dürfen wir in der nahenden Weihnachtszeit das Endprodukt einer neuen Form der Demokratie in Ungarn bestaunen. Unermüdlich wurde an ihr gefeilt und gearbeitet, und nun begrüßt sie uns mit einem breiten Lächeln: die Scheindemokratie. Ist sie nicht hübsch, diese leere, transparente Hülle, in der ganz legal durchgedrückt, ignoriert, zensiert wird.
...
Wer sich für eine fundiertere Übersicht über den Stand der Dinge in Ungarn interessiert, dem empfehle ich das ORF Weltjournal: http://tvthek.orf.at/programs/1328-Weltjournal Und für alle Ungarischsprachigen ein Fernsehbeitrag über die Neubesetzung der Spitze des Budapester Új Színház (Neues Theater) mit zwei schillernden Persönlichkeiten, die den "entarteten" Kulturbetrieb wieder ins Reine bringen wollen: http://www.youtube.com/watch?v=6FVRjgvHAcM Zur Demonstration am 22.10.: http://www.mittelbayerische.de/index.cfm?pid=10028&pk=718669&p=1 

Montag, 19. September 2011

Tizenhét

Wer sich für Ungarns kulturelle Identität aus der subjektiven, individuellen Sicht 50 junger ungarischer Künstler interessiert, möge sich folgenden Band zulegen: Magyarország szubjektív atlasza.

Tizenhat

Im Őrség in Westungarn, in dem Dorf Kerkafalva, Wochenende des 20. Augusts 2011.

:-*

Kurzer Ausflug nach Slovenien zur Grader Burg.

Grad, Slovenien, am Wochenende des 20. Augusts 2011.

Irgendwann in meinem Zimmer auf dem Erzsébet körút.

Juli 2011, im Sommerhäuschen meiner Schwägerin.

Tizenöt

Mein wunderschönes Jahr in Budapest ist tatsächlich zu Ende. Doch es gibt noch so viele Geschichten zu erzählen, Bilder zu zeigen, Geheimnisse zu verraten - überhaupt so viele Bande zu Ungarn zu pflegen, sodass dies garantiert nicht mein letzter Blogeintrag sein wird. Ich werde Ungarn weiter bereisen, vielleicht eines Tages sogar ganz zurückkehren. Denn trotz all dem, das ich dort nicht verstehe oder als problematisch empfinde, gibt es doch eine ganze Menge, das Ungarn und insbesondere Budapest wertvoll und liebenswert macht. Allein das traditionelle und zeitgenössische Kulturgut, die Sprache, die Küche, die Landschaft:
so viele tolle Ausstellungen, Clubs, Bars habe ich nie besucht,
so tolle Ausflüge habe ich nie unternommen,
so oft habe ich mich nie versprochen,
so lecker habe ich nie gegessen und getrunken,
so intensiv habe ich nie gelebt, gelitten, geliebt.
Also das muss ja schon was heißen.

Na, én már távozom... :o)

Dienstag, 19. Juli 2011

Tizennégy


Die Büste eines Piloten auf dem Hármashatárhegy.


Ob hier wohl noch Briefe ankommen?


Ungarische Tristesse bei einer Wanderung zum Budapester Berg Hármashatárhegy am 14. Juli.

Freitag, 18. März 2011

Tizenhárom


Sziasztok kedves olvasók!
Ich weiß, es ist nun wirklich viel zu lang her, dass ich geschrieben habe - immerhin habe ich zuletzt noch mit "Frohes neues Jahr!" gegrüßt. Jetzt versuche ich mit Vogelgezwitscher und sonnenerwärmter Haut zu grüßen – obwohl es draußen gerade regnet... Doch auch die nach-Winter- und pseudo-Frühlingszeit hat ihren Charme: Am Plattensee zum Beispiel ließ sich bis vor Kurzem noch das eingefrorene Ufer betreten. Mitte Januar flutete außerdem das winterliche Schmelzwasser einige tiefer gelegene Straßen entlang der Donau. Beim Joggen auf der Margareteninsel war das besonders gut erkennbar. Genau dieses Schmelzwasser, gepaart mit den Überflutungen, die im Februar ganz Ungarn heimsuchten, gefror auch östlich von Budapest zu einer dicken Eisfläche – ausgerechnet rund um Tiszabő, dem ärmsten Dorf Ungarns. Mancher kann sich hier nicht einmal mehr die Gasheizung leisten und muss zum mühseligen (und illegalen) Holzhacken in den Wald. Gemeinsam mit drei Kollegen von der Budapester Zeitung, einer meiner beiden Praktikumsstellen, haben wir Anfang Februar eine Reportagereise in das kleine Dorf unternommen, um uns von den Umständen vorort selbst ein Bild zu machen. In Tiszabő wohnen knapp 2.000 Seelen, beinah alle sind Roma, und sie sind zu 100 % arbeitslos. Es war ein toller, aber aufwühlender Ausflug. Dass Menschen mitten im Land der EU-Ratspräsidentschaft 2011 und nur etwas mehr als 100 km von Budapes entfernt in derartiger Armut leben, ist unbegreiflich. Und dass die Schule dort bald womöglich schließen muss, da das seit einer Flut der Theiß hochverschuldete Dorf die Lehrer und Schulmaterialien nicht mehr bezahlen kann, ist eine Schande. Umso mehr, da es sich bei den Einwohnern um die Minderheit handelt, die in regelmäßigen „Image-Reden“ der Regierung angeblich mit Bildung und Staatshilfe aus ihrer ausweglosen Situation herausgeholt werden soll. Wie aber soll die politische Führung eines Landes mit Schulden, die 77,5 % des Bruttoinlandsproduktes ausmachen, dem ärmsten Dorf Ungarns helfen? Alles, was in Tiszabő dringend gebraucht wird, kostet Geld. Alles, was benötigt wird, um den Roma in Ungarn aus ihren oft perspektivlosen Lebenssituationen zu helfen, kostet Geld. Jede Initiative, jede neue Tafel, jedes Stück Kreide. Und dabei ist Bő nur einer von vielen Orten, die nur so von Problemen überschüttet sind... Aber lest die ganze Geschichte doch selbst: http://www.budapester.hu/2011/03/wenn-einem-dorf-das-gas-abgedreht-wird/
Für die Bilder zum Text und einige Eindrücke von meinem aktuellen Leben hier in Budapest: Siehe unten!

Tizenkettő


Überfuteter und eingefrorener Weg über den Damm außerhalb Tiszabös.

Familie Turó aus Tiszabura in ihrem kleinen Haus (siehe Artikel)

Sportunterricht in Tiszabö - die meisten Kinder sind barfuß, sie haben kein Geld für Turnschuhe.

"Egyenlö eséllyel" - "mit gleichen Chancen" steht auf dem Plakat im Hintergrund: Provisorisches Klassenzimmer hinter Aufstellwänden im Kulturzentrum, dem aktuellen Ersatz für's Schulgebäude, in Tiszabura.

Haus in Tiszabura - einem der ärmsten Dörfer Ungarns. Trotz Schnee muss ein einfacher Vorhang als Haustür herhalten.

Fahrt nach Tiszabö - auf einer verrosteten, einspurigen Zugbrücke am 2. Februar 2011.