Donnerstag, 8. November 2012

Húsz


Ein Fass zu öffnen. Oder: Rundum zu schlagen

Am 30. Juni dieses Jahres sah man in Budapest eine bunte Menschentraube aus Frauen und Männern vom Deák tér über den Andrássy út und den Liszt Ferenc tér bis hin zum Klauzál tér marschieren. Manche von ihnen trugen Perücken, andere waren nur leicht bekleidet, viele von ihnen hatten Plakate gemalt und streckten diese in die Luft. Alle schrien sie „Nein heißt nein!“, A nem az nem!. Es war Budapests zweiter SlutWalk, Ribiséta auf Ungarisch. Die erste Demonstration unter diesem Namen fand im April 2011 im kanadischen Toronto statt, nachdem ein Polizist bei einer Veranstaltung in einer Torontoer Universität zum Thema „präventive Verbrechensbekämpfung“ den Studentinnen dazu riet, sich nicht provokativ wie eine Slut (Schlampe) zu kleiden, um nicht zu Opfern sexueller Gewalt zu werden. Mensch, wieso hat man uns Frauen nicht schon früher gesagt, dass wir aufgrund unserer dürftig vorhandenen Kleidung sexuell motivierten Straftaten zum Opfer fallen! Im Umkehrschluss also: einfach ein bisschen mehr anziehen, die Damen, dann hat man auch diese lästigen sexuellen Übergriffe los.
Die Männer, zumindest alle potenziellen Täter unter ihnen, sind in diesem trivial-tumben Szenario aber genauso Opfer: Opfer ihrer animalischen sexuellen Triebe, die sie beim Anblick von kurzen Röcken, Ausschnitten und nackter Haut nicht mehr zurückhalten können.

Diese Ansicht und die Aussage des Polizisten veranlassten einige der kanadischen Studentinnen schließlich, im Frühjahr 2011 den ersten SlutWalk zu veranstalten, um gegen sexuelle Gewalt gegenüber Frauen, für die Würde von Frauen und deren Freiheit, das anzuziehen, was ihnen gefällt, auf die Straße zu gehen. Innerhalb kurzer Zeit fand der SlutWalk Nachahmer auf der ganzen Welt: in den USA, Südamerika, Australien, Europa und so fort. Auch in Deutschland fanden in mehreren Großstädten Demonstrationen statt. Und 2012 auch wieder in Budapest. So viele Teilnehmer wie in Toronto, London oder Berlin zählte der Budapester SlutWalk zwar nicht: Circa einhundert Teilnehmer zählte Organisatorin Nóra Kiss. Als Erfolg kann man es sicherlich dennoch bezeichnen, wenn sich für ein derartiges Ereignis ohne lange Tradition (im Gegensatz z.B. zur Budapest Pride, die seit 1997 jährlich stattfindet) und das vielen Interessierten ggf. mehr Überwindung kostet, da sie als „Eine/r der Ersten“ mitlaufen, so viele mutige Anhänger finden.
Ich selbst war zu dieser Zeit nicht im Lande – hätte aber auch nicht an der Demonstration teilgenommen, da ich mich mit dem Titel „SlutWalk“ nicht identifizieren kann. Auch wenn die Bezeichnung eine sarkastische Anspielung auf die Aussage des kanadischen Polizisten darstellen soll: letztendlich degradiert sie die Demonstrantinnen zu etwas, als das sie ja gerade nicht bezeichnet werden wollen: zu Schlampen. Es ist ein psychologisches Prinzip, dass sich der Mensch nicht selbst als dumm, faul oder hässlich bezeichnen sollte, um am Ende weder sich noch andere tatsächlich davon zu überzeugen. Auch wenn mein Humor diesem Prinzip oft zuwiderläuft, so ist doch etwas dran: Wir Frauen sollten aufmerksamer gegenüber degradierenden, geschlechterspezifischen Beleidigungen werden und beginnen, diese öfter abzuwehren (auch auf die Gefahr hin, fortan als Spaßverderber, Verzeihung, Verderberin zu gelten).
Auch für Außenstehende, beispielsweise Passanten, die nicht mit dem Hintergrund des SlutWalk vertraut sind, dürfte der Titel der Demonstration eher andere Assoziationen wecken. Beim an den SlutWalk Budapest anschließenden Rundtisch-Gespräch sagte eine der Anwesenden selbst, dass sie den Eindruck hatte, viele Passanten hätten die Demonstrantinnen für Prostituierte gehalten, die für ihre Rechte kämpften. Und auch auf der Facebook-Seite des SlutWalk Budapest diskutierten im Vorfeld der Demonstration mehrere Frauen und Männer darüber, ob der Titel überhaupt sinnvoll sei. Auch wenn sich die Veranstaltung durch eine Namensänderung von der großen Schwester aus Kanada abkapseln würde – vielleicht würde Budapest (und ganz Ungarn) eine stärkere eigene, moderne Frauenbewegung, die durchaus aus einer derartigen Serie von Demonstrationen hervorgehen könnte, gut bekommen. Inklusive vieler weiblicher und männlicher Anhänger, versteht sich.



Skulptur "Néprajzkutatás" (ethnografische Forschung) von Ottó Szabó. Hier die zugehörige Beschreibung (ungarisch, deutsch, englisch). Gesehen in der Ausstellung "Friss 2012" im Kogart Haus.

Donnerstag, 29. März 2012

Tizenkilenc


Pál Schmitt ist Ungarns Staatspräsident und zweifacher Olympiameister im Fechten. Nach seiner Sportlerkarriere in den 60er und 70er Jahren wurde er 1983 Mitglied und blieb bis 1989 Generalsekretär des Ungarischen Olympischen Kommitees; von 1990 bis 2010 war er dessen Präsident und wurde anschließend zum Ehrenpräsidenten (örökös tiszteletbeli elnöke) des Kommitees ernannt. Zudem ist Schmitt seit 1983 Mitglied des Internationalen Olympischen Kommitees, zwischen 1995 und 1999 war er dessen stellvertretender Vorsitzender.

Seit 1992 trägt Pál Schmitt offiziell auch den Doktortitel. In seiner Doktorarbeit analysierte er das Programm der modernen Olympischen Spiele; er schloss sie mit
summa cum laude ab. Nach Abgabe seiner Dissertation begann Schmitts politische Laufbahn: 1993 wurde er als ungarischer Botschafter nach Madrid berufen, 1998 nach Bern. 2003, nach seiner Zeit in der Schweiz, schloss er sich der Fidesz an und wurde prompt zu deren Vizepräsidenten gewählt. Nach einem Zwischenstopp im Europäischen Parlament von 2004 bis 2010 ging alles ganz schnell: Am 14. Mai 2010 wurde Schmitt zum ungarischen Parlamentsvorsitzenden gewählt, am 29. Juni 2010 dann zum Staatspräsidenten. Eine Überraschung war dies nicht. Als Mitglied der Fidesz hatte Schmitt durch deren Zweidrittelmehrheit seine Stimmen im Parlament sicher. János Dobszay vom wöchentlich erscheinenden liberal ausgerichteten Magazin HVG beschrieb diese Neuigkeit damals so: "Die Fidesz hat ihr Staatsoberhaupt nach den Regeln des Feng Shui gewählt: Ab jetzt kann die Energie frei fließen! Pál Schmitt wird den Aufschwung der Regierung nicht bremsen."

Ganz schön viele Titel hat er sich da über die Jahre eingeheimst, der Schmitt. Einen weiteren erhält er auf diesem Blog: Hier ist von ihm als Unterschriftenmaschine (
aláírógép) die Rede, und diese Bezeichnung kommt nicht von ungefähr, war es doch Schmitt, der seit seiner Amtseinführung munter Gesetzesentwurf nach Gesetzesentwurf unterschrieb, zur Freude seines Chefs Viktor Orbán, der ohnehin ein bisschen Monopoly spielen wollte. Im ersten halben Jahr seiner Amtszeit als Staatspräsident waren es an die 100 Unterschriften, die Pál Schmitt unter Gesetztesentwürfe setzte. Die Meinung des Verfassungsgerichtes befragte er dabei kein einziges Mal. Wozu auch. Dieses wurde ebenfalls durch ein wenig Formatieren hier, ein bisschen Dämmen da quasi-entmachtet und zur Sicherheit mit Fidesz-Gefügigen besetzt. Wenn man nur jedes Spiel so einfach gewinnen könnte...